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Astronomen stellen ewige Expansion des Alls infrage

Baku, 8. April, AZERTAC

Physiker haben die vergangenen elf Milliarden Jahre des Kosmos mit einer nie dagewesenen Genauigkeit kartiert. In einer ersten Auswertung des sogenannten Desi-Projekts stießen sie auf Hinweise, dass die bisherige Theorie des Kosmos fehlerhaft sein könnte. Eine Konsequenz: Die Zukunft des Universums verläuft möglicherweise anders als gedacht.
Insgesamt habe man eine gute Übereinstimmung der Daten mit dem theoretischen Modell des Universums festgestellt, sagte Michael Levi, Leiter des Desi-Projekts und Physiker am US-amerikanischen Lawrence Berkeley National Laboratory, in einer Mitteilung . „Wir sehen aber auch interessante Abweichungen.“ Diese würden möglicherweise bedeuten, dass sich „die Dunkle Energie über die Zeit verändert“. Die Abweichungen könnten »mit zusätzlichen Daten verschwinden – oder eben nicht“.
„Ein großes Ding” - Der Astrophysiker Adam Riess von der Johns Hopkins University hält die neuen Erkenntnisse für bedeutsam. Riess bekam im Jahr 2011 für die Entdeckung der Dunklen Energie einen Nobelpreis und hat sich die nun veröffentlichten Daten bereits angesehen. „Ich nehme diese Ergebnisse für bare Münze“, schrieb er dem SPIEGEL in einer E-Mail. Sollten sie sich in weiteren Analysen des Desi-Projekts bestätigen, wäre das „ein großes Ding“.
Wie AZERTAC unter Berufung auf Spiegel berichtete, ist die Dunkle Energie eine mysteriöse Kraft im Universum. Sie sorgt dafür, dass sich das All immer schneller ausdehnt und sich Galaxien voneinander entfernen. Zusammen mit der sogenannten Dunklen Materie, die durch ihre Anziehungskraft Galaxien zusammenhält, macht sie 95 Prozent der gesamten Energie im Kosmos aus. Alle sichtbare Materie wie die Sterne und die Planeten kommen zusammen nur auf fünf Prozent.
Fluktuationen aus der Frühzeit - Bis heute weiß niemand, was die Dunkle Energie genau ist. Manche vermuten dahinter Fluktuationen im Vakuum, Teilchen und Antiteilchen, die spontan entstehen und sich wieder in Strahlung auflösen. Andere glauben eher an ein Energiefeld, das den gesamten Raum durchzieht. Nach der allgemein akzeptierten Vorstellung, dem Standardmodell der Kosmologie, wirkt sie jedoch zu jeder Zeit gleich stark, ist also konstant.
Die Desi-Wissenschaftler haben die Ausdehnung des Alls mit einem Teleskop am Kitt Peak National Observatory in Arizona vermessen, das sie mit 5000 speziellen Detektoren ausgestattet hatten. Ihre bisher veröffentlichten Daten beruhen auf Messungen aus einem Jahr. In den kommenden vier Jahren wollen sie ihre Karte des Universums von sechs auf 40 Millionen Galaxien erweitern.
Bekommt das Universum einen Tritt? - Unter anderem haben sich die Forschenden sogenannte Baryonische akustische Oszillationen angeschaut, die auf Fluktuationen in der Masseverteilung des frühen Universums zurückgehen. Vereinfacht gesagt, verwenden sie die Stärke dieser Wellen als eine Art kosmischen Zollstock und bestimmen daraus die Ausdehnung des Universums zu verschiedenen Zeiten.
Als die Astronomen ihre Daten zusammen mit denen anderer Messungen analysierten, zeigte sich eine Abweichung von dem, was nach dem Standardmodell der Kosmologie bei einer konstanten Dunklen Energie zu erwarten wäre. Es ist allerdings möglich, dass diese Abweichung durch zufällige Schwankungen in den Daten entstanden ist. Noch liegt sie statistisch unter dem Schwellenwert, den Physiker für gewöhnlich an neue Erkenntnisse anlegen.
Nobelpreisträger Riess propagiert seit Längerem, dass die Dunkle Energie schwanken könnte. Er vermutet, dass möglicherweise ein noch nicht genauer erforschtes physikalisches Feld dahintersteckt, das die mysteriöse Kraft hoch- und wieder runterdrehen kann. „Möglicherweise geben solche Felder dem Universum hin und wieder eine Art Tritt.“
Urknall rückwärts - Von einer neuen Theorie der Dunklen Energie erhoffen sich Physiker auch eine Antwort auf die Frage, wie die Zukunft des Universums aussieht. Bleibt die Kraft in Ewigkeit gleich, wird sich die Materie immer weiter verdünnen und das Universum dunkler und kälter, bis nirgendwo mehr weiteres Leben möglich ist.
Ändert sich die Dunkle Energie dagegen, steht dem Universum womöglich ein anderes Schicksal bevor. Sie könnte entweder so stark werden, dass sie erst Galaxien, dann Planetensysteme und schließlich sogar Atome auseinanderreißt. Oder sie schwächt sich ab, bis die Gravitation zur treibenden Kraft wird. Dann könnte alle Materie immer schneller auf einen Punkt zusammenstürzen – eine Art umgedrehter Urknall.

Wissenschaft und bildung 2024-04-08 15:07:00