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Kampf gegen Klimakrise: Wie viel CO₂ darf die Welt noch freisetzen?

Baku, 2. November, AZERTAC
Das 1,5-Grad-Ziel aus dem Klimaabkommen von Paris einzuhalten, könnte noch schwieriger werden als bisher angenommen. Das jedenfalls deuten Berechnungen mit neuen Daten und verbesserten Modellen an: Bei weltweiten Kohlendioxidemissionen auf dem Niveau von 2022 wäre das verbliebene Emissionsbudget in etwa sechs Jahren aufgebraucht, schreibt eine Forschungsgruppe um Robin Lamboll vom Imperial College London im Fachjournal „Nature Climate Change“.
Das Pariser Klimaabkommen von 2015 zielt darauf ab, die Erderwärmung einzudämmen. Eine Begrenzung der Treibhausgasemissionen soll dafür sorgen, den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Bei dem Konzept des verbleibenden Kohlenstoffbudgets wird anhand von Computermodellen und Berechnungen geschätzt, wie viel Kohlendioxid (CO₂) noch emittiert werden kann, ohne ein bestimmtes Temperaturziel zu erreichen. Im Sechsten Weltklimabericht von 2021 bezifferten Fachleute das Budget, um bei maximal 1,5 Grad Erwärmung zu landen, noch mit 494 Milliarden Tonnen CO₂.
Budget bei aktuellem Emissionenniveau in sechs Jahren aufgebraucht - Mithilfe der aktuellen Neuberechnung kamen Forschende nun zu einer verbleibenden CO₂-Menge von 247 Milliarden Tonnen CO₂ - also der Hälfte der früheren Schätzung. Allerdings bezog sich im Weltklimabericht die Restmenge auf die Zeit ab Anfang 2020, während die aktuelle Studie Bezug auf die Zeit ab Anfang 2023 nimmt.
Großen Anteil an dem Unterschied zur früheren Schätzung hat ein neues Computermodell, das den durch Treibhausgase verursachten Klimawandel simuliert. Zudem verwendete das Forschungsteam aktuellere Daten über tatsächliche CO₂-Emissionen und tauende Permafrostböden als andere. Nach dem Rückgang des Ausstoßes im ersten Jahr der Coronapandemie - also 2020 - lag die Menge der weltweiten CO₂-Emissionen 2022 wieder auf Vor-Corona-Niveau bei rund 40 Milliarden Tonnen pro Jahr.
Falls die Menschheit in den kommenden Jahren nicht mehr als 247 Milliarden Tonnen CO₂ ausstößt, besteht laut der Untersuchung eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad steigt. Um das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten, wären es der Schätzung der Forschenden zufolge noch 1220 Milliarden Tonnen bei einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent.
Forschende, die nicht an der Untersuchung beteiligt waren, kritisieren eine irreführende Interpretation der Zahlen. „Die begleitende Kommunikation, dass sich mit dieser Methode das verbleibende CO2-Budget halbiert, ist grob irreführend“, sagt etwa Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik dem Science Media Center (SMC). Das liege an den unterschiedlichen Zeiträumen, die betrachtet wurden: Das Budget im IPCC-Bericht von 500 Gigatonnen CO₂ beginnt am 1.1.2020, das in dieser aktuellen Studie neu berechnete Budget am 1.1.2023, »dazwischen liegen drei Jahre«, in denen sich etwas getan hat. Rechne man die in der Zeit verbrauchten Emissionen aus dem Budget des IPCC-Berichts heraus, bliebe etwa ein Drittel des Budgets übrig, sagt Geden weiter.
„Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich das tatsächliche Wissen darüber, wie das Klima auf CO₂- oder andere Treibhausgasemissionen reagiert, durch diese Revision des Kohlenstoffbudgets nicht wesentlich geändert hat“, betont wiederum Gabriel Abrahão vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gegenüber dem SMC. „Die großen relativen Änderungen des verbleibenden Budgets, um unter 1,5 Grad Erwärmung zu bleiben, sind einfach darauf zurückzuführen, dass es von vornherein sehr klein war.“

Gesellschaft 2023-11-02 16:53:00