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Studie: In unserem Gehirn arbeiten mehr als 3000 Zelltypen

Baku, 14. Oktober, AZERTAC
Die „Brain Initiative“ der US-Gesundheitsbehörde NIH hat den bislang umfangreichsten Zellatlas des menschlichen Gehirns erstellt. Mehrere Forscherteams waren mit insgesamt 21 Studien daran beteiligt. Eines der Ergebnisse des Großprojekts: In unserem Gehirn arbeiten mehr als 3000 Zelltypen.
Ein Team um Kimberly Siletti des Karolinska-Instituts in Stockholm untersuchte Gewebe aus 14 menschlichen Gehirnen. Die Forscherinnen und Forscher klärten mit einer neuen Methode auf, welche RNA-Folgen in den einzelnen Hirnzellen vorhanden waren. RNA (Ribonukleinsäure) überträgt unter anderem Information aus dem Erbgut, um Proteine herzustellen. Die RNA-Sequenz in Zellen unterscheidet sich je nach der Aufgabe, die eine Zelle hat. Basierend auf diesem Wissen haben die Forscher 3313 verschiedene Zelltypen abgeleitet. Der Datensatz für diese Arbeit umfasste mehr als drei Millionen Gehirnzellen.
In zwei weiteren Studien untersuchten ein Team um Yang Li von der University of California und eines um Wei Tian von dem Salk Institute for Biological Studies die Epigenetik einzelner Gehirnzellen. Epigenetische Mechanismen bestimmen, wie oft welches Gen in einer Zelle aus dem Erbgut abgerufen wird. Die Epigenetik wird auch von der Umwelt, von Ernährung und Alterung beeinflusst. Aus diesen drei Studien zusammengenommen ist ein Hirnzellenatlas entstanden, der einzelne Hirnzelltypen charakterisiert und sie einzelnen Gehirnregionen zuordnet. Dieser Atlas ist für alle Wissenschaftler frei zugänglich.
„Dies ist wirklich der Beginn einer neuen Ära in der Hirnforschung, in der wir besser verstehen können, wie sich Gehirne entwickeln, wie sie altern und von Krankheiten in Mitleidenschaft gezogen werden“, sagte Joseph Ecker vom Salk Institute in einer Pressemitteilung. Der Forscher war an mehreren der Studien beteiligt.
Wie unterscheiden sich die Gehirne von Menschen und Affen? - Die Aktivitäten für den Hirnzellatlas sind im Projekt BICCN (Brain Initiative Cell Census Network) gebündelt, die Studien erschienen in verschiedenen Journalen der „Science“-Gruppe. BICCN erlaubt nun auch, weitere Erkenntnisse über das menschliche Gehirn zu gewinnen, etwa darüber, wie sich die Gehirne von Menschen und von Affen unterscheiden. Das hat unter anderem ein Team um Nikolas Jorstad vom Allen Institute for Brain Science in Seattle getan: Es untersuchte Proben einer Hirnregion, die beim Menschen mit der Gesichtserkennung und mit dem Lesen in Verbindung gebracht wird, von erwachsenen Menschen, Schimpansen, Gorillas, Rhesusaffen und Weißbüschelaffen.
„Nur wenige Hundert Gene zeigten menschenspezifische Muster, was darauf hindeutet, dass relativ wenige zelluläre und molekulare Veränderungen die Hirnrindenstruktur des erwachsenen Menschen eindeutig definieren“, fassen Jorstad und Kollegen ihre Erkenntnisse zusammen.
Doch es geht den Forschern auch um Fortschritte in der Humanmedizin: „Die Kartierung der verschiedenen Zelltypen im Gehirn und das Verständnis ihrer Zusammenarbeit werden uns letztlich dabei helfen, neue Therapien zu entdecken, die auf einzelne Zelltypen abzielen, die für bestimmte Krankheiten relevant sind“, sagt Bing Ren von der University of California. Ren ist der Seniorautor der Studie von Li und Kollegen. Die Wissenschaftler konnten molekularbiologische Aspekte von 107 verschiedenen Subtypen von Gehirnzellen mit einem breiten Spektrum neuropsychiatrischer Erkrankungen in Verbindung bringen, darunter waren Schizophrenie, bipolare Störung, Alzheimerkrankheit und schwere Depression.
Die „Brain Initiative“ ist nicht das erste Projekt dieser Art. Im Sommer hatten Forscherinnen und Forscher nach zehnjähriger Arbeit Daten des „Human Brain Projects“ vorgelegt, bei dem es darum ging, die Funktion des menschlichen Gehirns zu simulieren. An der europäischen Initiative waren 122 Forschungseinrichtungen aus 17 Ländern beteiligt. Aufgrund der ambitionierten Ziele des Projekts hatte es immer wieder Reibungen unter den Teams gegeben. Aber ein Hirn-Atlas wurde von einem Expertenteam des Forschungszentrums Jülich ebenfalls erstellt.

Gesellschaft 2023-10-14 14:15:00