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WHO: Fast 400 Millionen Menschen in Europa und Zentralasien erhalten keine notwendigen Rehabilitationsmaßnahmen

Baku, 10. Dezember, AZERTAC

Aus einem Bericht des WHO-Regionalbüros für Europa geht hervor, dass 394 Mio. Menschen – fast die Hälfte der Bevölkerung der Europäischen Region – mit einer Erkrankung leben, die Rehabilitationsmaßnahmen erfordert, doch dass die Mehrheit von ihnen die benötigte Hilfe nicht erhält. Eine rapide Alterung der Bevölkerung, ein erheblicher Anstieg der Zahl der Personen mit chronischen Erkrankungen und mangelndes Bewusstsein hinsichtlich des Nutzens von Rehabilitationsmaßnahmen gehören zu den wichtigsten Antriebskräften dieses ungedeckten Bedarfs in allen Teilen Europas und Zentralasiens.
Die Lebensqualität von Menschen kann durch Altern, eine Erkrankung – auch chronischer Art – oder eine Verletzung beeinträchtigt werden. Rehabilitationsmaßnahmen können diese Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags unterstützen. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Mehrzahl der Menschen, die solche Leistungen benötigen, diese nicht erhalten, was zu geschätzt 49 Mio. verlorenen gesunden Lebensjahren aufgrund von Erkrankungen mit Rehabilitationsbedarf führt. Zu den wichtigsten Hindernissen für den Zugang zu Rehabilitationsleistungen gehören ein mangelndes Bewusstsein dafür, was Rehabilitation ist und wie sie funktioniert und nützt, sowie falsche Vorstellungen in Bezug auf ihre Bezahlbarkeit.
Vor allem aber hindert in manchen Teilen der Europäischen Region ein gravierender Fachkräftemangel viele Menschen an der Inanspruchnahme der benötigten Leistungen. Laut dem Bericht gibt es in Ländern mit mittlerem Volkseinkommen zwölfmal weniger Physiotherapeuten, 141-mal weniger Ergotherapeuten und sechsmal weniger Prothetik- und Orthopädietechniker als in Ländern mit hohem Einkommen.
In der Europäischen Region insgesamt sind die verbreitetsten Gesundheitsprobleme, die Rehabilitationsmaßnahmen erfordern, Rückenschmerzen, Knochenbrüche, Verlust des Hör- und Sehvermögens sowie Schlaganfall und Demenzerkrankungen. Da diese Erkrankungen Auswirkungen auf das Leben der Menschen und sogar ihre Erwerbsfähigkeit haben, drohen den Ländern Verluste in Millionenhöhe aufgrund von Produktivitätsverlusten und der Zunahme von Armut und Arbeitslosigkeit.
“Es ist bestürzend, dass fast die Hälfte der Bevölkerung der Europäischen Region Rehabilitationsmaßnahmen in irgendeiner Form braucht“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. „Rehabilitation ist ein Angebot der gesundheitlichen Grundversorgung, das allen, die es benötigen, und auf allen Ebenen der Gesundheitsversorgung zur Verfügung stehen sollte. Wenn keine Maßnahmen ergriffen werden, laufen die Länder Gefahr, die Möglichkeiten ihrer Bürger zu beschneiden und die wirtschaftliche Produktivität zu begrenzen, da so viele Menschen einfach nicht in der Lage sind, in vollem Umfang zum gesellschaftlichen Leben beizutragen.“
Die zentrale Aufgabe von Rehabilitation besteht darin, Menschen mit einem Gesundheitsproblem bei der Genesung zu unterstützen und ihre Funktionsfähigkeit zu erhalten. Funktionelle Probleme entstehen durch Beeinträchtigungen wie Schmerzen oder Muskelschwäche und Begrenzungen in der Handlungsfähigkeit, etwa in Bezug auf Selbstversorgung oder Gehen.
Es ist wichtig, dass Rehabilitationsmaßnahmen im Rahmen der primären Gesundheitsversorgung angeboten werden, wo die meisten Fälle chronischer Erkrankungen versorgt werden, aber auch in gemeindenahen Umgebungen, etwa im häuslichen und schulischen Umfeld.
“Die Einbindung von Rehabilitationsmaßnahmen in die primäre Gesundheitsversorgung ist so wichtig, weil viele Menschen, die von solchen Angeboten profitieren könnten, nie ins Krankenhaussystem gelangen und vielleicht eine Langzeit-Reha in Wohnortnähe benötigen“, erklärte Dr. Natasha Azzopardi Muscat, Leiterin der Abteilung Gesundheitspolitik und Gesundheitssysteme der Länder beim WHO-Regionalbüro für Europa. “Doch in vielen Ländern unserer Region werden Rehabilitationsmaßnahmen in Einrichtungen der sekundären und tertiären Gesundheitsversorgung bereitgestellt, die in Ballungsräumen liegen, sodass ländliche und andere entlegene Gebiete unterversorgt bleiben. In den meisten Gesundheitssystemen sind Rehabilitationsangebote nicht vollständig oder nicht wirksam in die primäre Gesundheitsversorgung integriert. Das muss sich ändern.“
Es gibt Fortschritte, aber es muss weit mehr geschehen, um die Verfügbarkeit von Rehabilitationsangeboten zu verbessern.
Es gibt Belege dafür, dass Rehabilitationsmaßnahmen kosteneffektiv sind und zur Verwirklichung und Aufrechterhaltung optimaler Resultate anderer Gesundheitsinterventionen beitragen. Entscheidend ist aber, dass der Zugang zu Rehabilitationsangeboten der Verwirklichung des Rechts aller Menschen auf Gesundheit zugute kommt.
In den vergangenen Jahren wurden Fortschritte dabei erzielt, Rehabilitationsleistungen für Menschen, die sie benötigen, leichter verfügbar zu machen. In manchen Ländern werden sie inzwischen bei gesundheitlichen Notlagen angeboten, und es gibt konkrete Maßnahmen zur Unterstützung von Menschen im Rahmen der Langzeitpflege.
Darüber hinaus hat Long COVID ein besonderes Licht auf den Bereich Rehabilitation geworfen, da die Länder nun erkennen, wie ernst diese Erkrankung ist und welche zentrale Rolle Rehabilitationsmaßnahmen bei der Unterstützung der Betroffenen spielen.
Rehabilitation hat nachweislich das Potenzial, kostspielige Krankenhausaufenthalte zu vermeiden bzw. die Aufenthaltszeiten zu verkürzen, die Zahl der Wiedereinweisungen zu reduzieren und die Gefahr von Komplikationen aufgrund von Gesundheitsproblemen zu verringern. Durch die Verbesserung der körperlichen, psychischen und sozialen Funktionen und der Fähigkeit zur Teilhabe am Alltagsleben tragen Rehabilitationsmaßnahmen zur Senkung der Versorgungskosten bei und begünstigen die Teilhabe der Betroffenen an Ausbildung und Berufsleben.
Das WHO-Regionalbüro für Europa appelliert dringend an die Länder:
Rehabilitationsmaßnahmen Vorrang einzuräumen und diese als wesentliche Gesundheitsleistungen für Millionen von Menschen anzuerkennen, auch während Notlagen;
Rehabilitationsangebote auf allen Ebenen des Gesundheitssystems bereitzustellen – in der primären Gesundheitsversorgung, bei kommunalen Leistungen, in Krankenhäusern und in spezialisierten Einrichtungen. Jeder sollte Zugang zu den benötigten Rehabilitationsmaßnahmen erhalten;
die Entwicklung einer ausreichenden Zahl gut ausgebildeter multidisziplinärer Fachkräfte im Bereich Rehabilitation zu fördern, die diese Leistungen erbringen.
“Die meisten von uns werden entweder selbst irgendwann im Leben Rehabilitationsmaßnahmen brauchen oder jemanden im näheren Umfeld kennen, der sie benötigt“, sagte Dr. Kluge abschließend. “Rehabilitationsmaßnahmen können für Einzelpersonen und ihre Angehörigen eine lebensverändernde Wirkung haben, indem sie Schmerzen verringern, mehr Unabhängigkeit ermöglichen, das seelische Wohlbefinden fördern, Menschen befähigen und eine Beteiligung an Arbeitsleben und Ausbildung ermöglichen und so zum Gedeihen von Menschen und ihren Gemeinschaften beitragen.“

Gesundheit 2022-12-10 17:22:00