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Wetterextremen: Ozeane so warm wie nie

Baku, 6. Mai, AZERTAC

Die Weltmeere waren in den ersten Monaten dieses Jahres im Durchschnitt so warm wie noch nie seit Beginn der Messungen in den Achtzigerjahren. Was auf den ersten Blick nach gutem Badewetter für den Urlaub klingen mag, ist für die Wissenschaft ein Alarmsignal für den Klimawandel und Extremwetter. “Es braucht sehr viel Energie, um Wasser zu erwärmen“, sagt Anders Levermann, Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). “Das ist ein monströser Effekt, den wir da gerade sehen.“ Auch andere Forscher in Deutschland sind beunruhigt.
Gemessen hat die Werte die US-Wetterbehörde NOAA. Das Institut legt seit 1981 unter anderem mithilfe von Satelliten und speziellen Bojen Messreihen mit den täglichen Oberflächentemperaturen der Weltmeere vor. Daraus errechnen Forschende einen Mittelwert - regional können die Temperaturen deutlich höher oder niedriger liegen.
Bis zu 30 Grad im Mittelmeer - Dieses Jahr begann zunächst noch moderat mit 20,6 Grad Celsius durchschnittlicher Wassertemperatur. Doch dafür schnellten die Temperaturen in diesem Jahr ab Mitte März nach oben wie noch nie seit Beginn der Messungen. Erstmals hielten sich 21,0 Grad im Mittel zudem bis Ende April - eine Zeit, in der sich das Wasser global betrachtet eigentlich wieder abkühlt. Auch der jüngste Stand vom 3. Mai mit 20,9 Grad liegt über allen bisherigen Messungen für diesen Zeitraum. Zum Vergleich: 1985 lag die Meerestemperatur Ende April im Mittel noch bei 20 Grad.
“Temperaturen im Meer sind ein absoluter Masterschalter“, sagt Thorsten Reusch, Biologe am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung. Kleinste Veränderungen können das globale Klimasystem durcheinanderwirbeln. “Was wir jetzt sehen, ist jenseits aller bisher aufgezeichneten Wassertemperaturen. Das ist auf jeden Fall bemerkenswert bis bedenklich.“ Für Laien möge sich ein Anstieg von 0,2 Grad nach wenig anhören. Das sei aber der globale Mittelwert. Meerwasser könne sich regional viel stärker erwärmen, in den Tropen bis über 30 Grad Celsius.
“Bei vielen Organismen im Meer ist die Wassertemperatur die Körpertemperatur“, sagt Reusch. Fische wichen bei einer Erwärmung in kühlere Meeresregionen aus. Dadurch komme es zu einer Verschiebung der Artenzusammensetzung mit Folgen für die Nahrungsketten. “Es wurde auch beobachtet, dass Fische in wärmerem Wasser nicht mehr so groß werden können - pro Grad bleiben sie um drei Prozent kleiner“, ergänzt Reusch.
Für Korallen, Hotspots der biologischen Vielfalt des Meeres, gibt es eine Grenze: Ab 30 Grad fingen sie an, auszubleichen und abzusterben, sagt Reusch. “Im Mittelmeer gab es im vergangenen Jahr eine massive Hitzewelle mit bis zu 30 Grad Wassertemperatur. Das war fünf Grad über normal.“ Dieses Extrem habe zum Absterben von Korallenarten wie Gorgonien und Edelkorallen geführt.
Doch es geht nicht nur um die Meeresbewohner. Physikalische Prozesse wie Verdunstung wirken sich auch auf das Land aus. Die Ozeane als Wärmepuffer seien der große Energielieferant für die Atmosphäre, erläutert Klimaforscher Levermann. “Wenn diese Energie frei wird, gibt es häufiger und intensivere Extreme.“ Das seien dann zum Beispiel Taifune und Hurrikans. “Aber es geht auch um Starkregen, denn eine wärmere Atmosphäre kann mehr Wasserdampf halten. Dadurch werden Überschwemmungen verstärkt, auch in unseren Breiten.“ Für den Wissenschaftler sind die Ozeane, die rund 70 Prozent der Erde bedecken, wie eine gigantische Klimaanlage. “Und die läuft gerade warm.“
In den vergangenen Jahren hat das natürliche Wetterphänomen “La Niña“ dem Meeresklima eine kleine Verschnaufpause beschert. Es ist die kalte Phase eines Zyklus im östlichen Pazifik, die sich weltweit auswirkt. Forschende vermuten, dass die Natur den Schalter hier gerade umlegt und sich das regelmäßige Gegenstück ankündigt: die Phase “El Niño“, bei der Wärme aus der Tiefe des Ozeans nach oben gepumpt wird.
“Es ist deshalb sehr gut möglich, dass die beginnende Entwicklung zu einer El-Niño-Phase, kombiniert mit der menschengemachten allmählichen Erwärmung, zu neuen Rekorden der global gemittelten Temperatur führen wird“, sagt Klimaphysiker Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Das betrifft auch das Land - vielleicht in diesem oder im nächsten Jahr, oder auch in beiden.

Umwelt 2023-05-06 15:22:00